Ein Auszug aus dem Buch
Aurinias Schwert von KW Thörmer
79NC Landgut bei Vetera, Randulf
Hinter den geschlossenen Lidern meines Auges lauerte sie auf Antworten zu ihren tausend Fragen. Auf dieser Seite des Lides rollten die Bilder des blutigen Vetera durch meinen Kopf und die Bilder von hundert anderen Schlachten.
Lucias gewaltige Hände massierten schwach duftendes Öl in meinen Rücken und ließen mich hoffen, dass meine schlimmen Schmerzen wenigstens für einen Tag vergehen mögen.
Lucia war eine Künstlerin der Massage.
Ich blickte in die dunklen Augen von Tullia Tertia – dritte Tochter meines Legaten – schwarzes Haar wie die Nacht- aber nicht glatt wie das der Römer, sondern wild, strubblig und nach allen Seiten abstehend. Kletten hat sich in ihrem Haar verfangen und mit dem kritischen Blick ihrer 8 Jahre blitzte sie mich an.
„Du musst ihn gekannt haben!“
Ich fühlte mich noch älter als sonst – irgendetwas
in ihrem Blick erinnerte mich an mich selber als ich 8 Jahre war und meine
ersten Speere warf. „Arminius war lange tot, kleine Schnepfe, bevor ich mein
erstes Schild erhielt und meinen ersten Römer erschlug. Und das – kleine Meise
– sagte ich dir wohl schon hundertmal.“
Ich schloss die Augen und hoffte, dass es ihr langweilig wurde und sie wegging um den kleinen Titus zu ärgern.
Sie wusste von meiner Herkunft und das ich mein Leben lang gegen das Rom gekämpft habe, dessen Vorteile ich nun genoss. „Außerdem war sein Name Armin der Starke, nicht Arminius.“
„Du weißt viel, wenn du ihn nicht gekannt hast – erzähl mir von den Germanischen Frauen, wie sahen sie aus, was taten sie, hatten sie viele Sklaven? Konnten sie singen? Tanzten sie?“
Ich stellte mir vor, wie sich mein verbliebenes Auge nach Innen verdrehte und die Außenwelt verschloss.
„Kleine Herrin – die Germanischen Frauen waren wunderschön, blond und liebten es zu tanzen. Hast du den Aufsatz des Publius Cattulus abgeschrieben?“
Ich war hier in der Fundus des Legaten Marcus Tullius Gravvus als Lehrer eingestellt. Er hatte die Hand über mich gehalten, als mein Volk unterging und mich hier untergebracht , so dass ich nicht ans Kreuz geschlagen wurde wie mancher anderer und statt dessen hier sanfte Massagen und den Luxus der warmen Bodenfliesen genießen durfte. Trotzdem vermisste ich das Gewusel der Kinder des Langhauses, den Geruch der Kühe und das Blöken der Kälber, die Albernheiten der jungen Krieger und das Kichern der Mägde. Den kalten Gerstenbrei am Morgen – heimlich mit einem Schluck Meth gewürzt. Der salzige Käse und . oh ja – . meine Mutter – souverän den Haushalt beherrschend. Hier liebkosend, dort ein herzhaft gezogenes Ohr . Keine Magd, kein Knecht der trödelte , kein Jungkrieger der aufsässig war. Seltsam – hier liege ich auf der Holzbank – eine schwarze, dicke Numidierin knetet weibisches Duft Öl in meinen wehen Rücken, ein Strohdach schützt mich vor der Sonne und ich muss an meine Mutter denken. Ein ganzes Lebensalter entfernt starb sie an den Wällen im Kampf gegen räuberische Sugambrer.
<vetera=xanten>
50nC Lupa (Lippe) Randulf
Wir Jungkrieger hatten 6 Pferde wohl mannshoch mit Gras- und Kräuterschnitt beladen – Nahrung für die Tiere im Winter. Es kam von den Gemein Wiesen unten am Fluss. Wir hatten kaum Zeit vertrödelt, wenig Übungsspeere geworfen, kein Ringkampf oder Würfel hatte uns abgelenkt und so waren wir gut in der Zeit. Lange vor Sonnenuntergang führten wir die Pferde scherzend zum Nordtor der Boarg.
Schon als wir uns näherten, bemerkten wir den Aufruhr. Die Felder am Hang waren verlassen, die Sensen lagen verstreut in dem halb abgeernteten Gerstenfeld. An einem Baumstumpf lehnte eine Axt.
Die ganzen Sippen der Boarg schienen im Inneren der Wälle. Sie standen in kleinen Gruppen herum, murmelnd tratschend. Zwischendurch die Kinder, die uns die Neuigkeit als erste brachten .
Eine kleine Horde einer Chattensippe – unsere Nachbarn – war zu Besuch. Der Grund war unklar. Sie hatten eine „login“ mitgebracht – eine zweirädrige Kutsche – und jemanden in Maske und Mantel in den Palas gebracht. Alle Liten – die Unfreien Knechte und Mägde wurden hinausgeschickt – was den Besuch noch mysteriöser machte. Ein „politischer“ Besuch wie es schien.
Wir pfiffen ein paar herumlungernde Knechte herbei die Pferde ab zu laden und mischten uns gleich in die Menge vor dem Palas.
Meine erste Erinnerung war das Schlachten der Rinder
in dem Hungerwinter. Sie hatten die ganzen Tage und Wochen schon geschrien
– vor Hunger, dann bei der Schlachtung.
Ihre dürren Körper boten ein Festmahl für die ganze Sippe – und als kleiner Junge von vielleicht 5 Jahren oder so – stellte sich die Frage
nach dem Morgen nicht. Viele Jahre später erst wurde mir klar, warum so viele
der Alten in den Wald gingen und nicht mehr wieder kamen. Warum in diesem
Winter kein Kind geboren wurde: Und warum einige Familien ganz und gar den
Stamm verließen um woanders ihr Glück zu versuchten.
Die Alten gingen in den Wald um zu
sterben – ohne dass jemand es verlangte und die Säuglinge wurden erstickt –
weil das Essen nicht für alle reichte. Der Winter war bitter kalt. Wolfshorden
streiften hungrig durch den Wald und holten sich manchen der Sippe. Ich
erinnere mich an eine der Ammen. Eine Schöne aus Gallien – die beauftragt
wurde, auf uns Kinder aufzupassen. Sie erfand ein Spiel damals – lehrte uns die
Römische Sprache, Schrift und Zahlen. Die Belohnung wenn jemand gut aufpasste
waren ein paar Bucheckern oder eine kleine Handvoll Eicheln. Unsere kleine
Schar von Kindern – zu klein um in den Wald zu gehen – zu groß um einfach
erstickt zu werden – saß in einer Ecke eines der Langhäuser – lauschte –
manchmal angstvoll – manchmal staunend der Gallierin und wiederholte den fremden
Zungenschlag und die fremden Worte.
Das war meine erste Erinnerung.
Mein Leben war vorher bestimmt – ich war der dritte Sohn des Häuptlings – Speerträger und Krieger sollte ich werden. Meine Pflichten waren vielfältig – wie die Pflichten aller Jungkrieger. Feldarbeit , Feldarbeit und Feldarbeit – und zwischendurch Training mit dem Speer, der Keule und dem Schild.
Ich war damals so ein Jungkrieger – hatte gerade 13 Sommer erlebt und trug mein erstes Schild – geflochten von meinen Vater aus Weiden – mit einem zähen Eichenstück als Schildbuckel. Meine erste Waffe war die Keule und ein Wurfspeer mit Knochenspitze und ich war recht gut. Nicht ganz so groß wie die Größten unter ihnen, aber ein kleines bisschen stärker –ein wenig schneller als die anderen. Die Wahrheit war wohl, dass ich es hasste der Zweite bei irgendetwas zu sein. Nur das Glücksspiel ging an mir vorbei und interessierte mich nicht. Zu sehr hasste ich es zu verlieren.
Ich liebte meinen ersten Speer – ich nannte ihn
Gungnir und wohl täglich schnitzte ich
winzige Muster hinein. – bis er eines Tages einfach zerbrach. Mein Vater war
der Häuptling der Boarg – Heimat für ein halbes Dutzend verwandter und
verschwägerter Sippen – wohl 200 Leute und 500 Stück Vieh und ich war der Dritte
Sohn. Uns ging es gut in dieser Zeit – in der sich meine Bestimmung ändern
sollte.
Unser Stamm war derer der Boruakter – oder Brukterer wie die Chatten
sagten. Die Römer nannten uns
Brouktuarier und hassten uns seit den
glorreichen Tagen des Armin. Immer wieder schickten sie uns ihre Soldaten um
den Zehnt einzutreiben – manchmal mit
Erfolg – wenn der Hunger uns so geschwächt hatte, dass der Großkönig beschloss
nicht zu kämpfen – manchmal machten wir sie nieder – manchmal sie uns.
So erzählte man es sich an den Herdfeuern. Ich hatte noch keinen Römer gesehen in meinen 13 Jahren – lange waren sie nicht mehr über den Rhein gekommen und wir hatten auch sie in Ruhe gelassen. Sie waren wohl mit sich selbst beschäftigt und unsere Sippe hatte eine glückliche Jahre mit reicher Ernte, milden Wintern.
Innen im Palas wurde die Thing Trommel geschlagen – sie klang durch das ganze Boart und rief alle freien Bürger zum Palas. Wir Jungkrieger der Westtorhorde hatten keine Zeit uns herauszuputzen. Die Haare waren lang und ungekämmt. Nur ein Strick statt dem Prunkgürtel und mit nacktem, zerschrammten Oberkörper. Die Trommel sang „sofort“!
Und so betraten wir mit den anderen Freien den Palas.
Innen war es schon voll, stickig und im ersten Moment erkannte ich im Schein einiger Brennspäne so gut wie nichts – bis ich gegen jemanden rumpelte – beinahe meinen geliebten Speer verlor -von irgend wem angeraunzt wurde und dann von noch jemandem und noch jemanden – bis ich meinen Platz ganz vorne bei den anderen Jungkriegern fand. Wir hatten alle noch unseren Eisernen Ring am Daumen – der uns und aller Welt – speziell der weiblichen Welt – erinnerte – dass wir noch keine vollwertigen Krieger waren – noch keinen Feind getötet hatten.
Es dauerte geraume Zeit bis es still wurde.
Mein Vater hatte eine dröhnende Stimme – von der er meist nur im Kampf Gebrauch machte. Er übertönte mühelos das Getuschel der Krieger.
„Ihr habt die Trommel gehört. Begrüßt unsere Gäste hier…“
Die Krieger, die Schild und Speer dabei hatten –
schlugen sie minutenlang aufeinander. Die Chatten waren uns wohlbekannt und
standen zu uns in mancher Not. Erst später erzähle mir jemand, dass auch ein
Cherusker und zwei oder drei von anderen Stämmen dabei waren.
Chatten jedoch waren gute Freunde – wie mein Vater zu sagen pflegte.
„DIESE SIPPE IST ERWÄHTL WORDEN!“ ein fremder Häuptling war aufgestanden. Ein reich bestickter römischer Mantel mit einer Goldenen Fibel gehalten – er musste recht hoch im Rang stehen – vielleicht so hoch wie mein Vater – vielleicht sogar höher.. Er hatte einen seltsamen, singenden Akzent und man musste sich sehr konzentrieren ihn zu verstehen.
Ich roch den verbrannten wilden Rosmarin und andere
Kräuter – den religiösen Teil der Zeremonie schienen wir Jungkrieger schon
verpasst zu haben.
„ DIE GÖTTER SPRACHEN ZU UNS UND IHR
SPRECHER HIES UNS HIERHER ZU KOMMEN.“
Es wurde immer mysteriöser – in nichts glich dieser Thing irgendeinem anderen
an dem ich schon teilnehmen durfte. Ein guter Sonnenwend Thing wurde von den
Priestern eingeleitet – schon eine Nacht vorher sangen und tanzten sie in einem
heiligen Hain – schön unter sich – sodass die Krieger nicht gelangweilt wurden.
Dann kam der Meth, der Braten , Honigbrei und vergorene Milch und andere
Leckereien und die Schwerttänze der Krieger- anfangs rhythmisch und schnell, am
Morgen torkelnd und stolpernd. Dann –
meist am nächsten Mittag mit verquollenem Blick und Kopfschmerzen wurden die
Streitfälle vorgebracht und der Großkönig entschied und sprach Recht. Selten
ging es um Kampf und Krieg – ganz einfach abgestimmt durch den Lärm der Speere
auf die Schilde oder – Gemurre und Gezanke.
Dies hier war kein Thing – obgleich die Thing Trommel geschlagen wurde und es würde ein Tag werden – der mein Leben für immer änderte.
„IHR UNFREIEN UND SKLAVEN VERLASST NUN DIESEN PALAS ODER BEGEGNET DEN MOORGEISTERN !“ Der Chatte schien irgendeine Autorität zu haben, die meinen Vater schweigen lies – obwohl es sein Palas war und niemand solche Reden führen dürfte.
Niemand rührte sich – denn die Mägde und Knechte waren schon vorher heraus geschickt worden.
„SCHÜTZT DIESEN PALAS !“ rief der fremde Häuptling und mein Vater winkte der Nordtor Rotte zu. Die 6 Krieger nahmen ihre Schilde und Speere und verließen den Palas – niemand durfte sich dem Langhaus nähern – kein Lauscher oder gar Brandstifter .
Ohne dass es einer Aufforderung bedurft hätte setzten sich alle auf den Bretterboden des Langhauses. Nur mein Vater, der Fremde Häuptling und eine weitere –Person blieben stehen. Diese Person war winzig und von Kopf bis Fuß in römisches Leinen eingehüllt.
„Die Wolfssippe ist für eine hohe Ehre ausgewählt worden. Wir nehmen die Hohepriesterin des Stammes bei uns auf .“ sagte mein Vater in die Stille des Langhauses. „ Sie wird als eine der unseren Schutz genießen bis zum Ende der Tage. Keiner darf Hand an sie legen. Wir werden ihr einen Palas bauen und niemand außer unserer Sippe darf dieses Haus betreten – bei unserem Blute, bei Thor und Wotan.“
Das war eine Neuigkeit die den Männern der Wolfssippe die Stimmen verschlug.
„Wird unser Stamm angegriffen – so werden alle Stämme des Nordrheines kommen, uns zu verteidigen.
Leidet unser Stamm Hunger- so werden alle Stämme des Nordrheines uns speisen.
Friert unser Stamm – so werden uns alle Stämme uns wärmen.“
„Dienen wir der Hohepriesterin schlecht – werden
alle unseres Klans erdrosselt bei dunkler Nacht – wie Verbrecher im Moor.
Dies wird nun unsere Aufgabe in den Völkern des einäugigen Gottes sein – bis uns die Hohepriesterin
davon entbindet.“
Wir werden alle Priester werden – wie eine Seifenblase zerplatzten meine Tagträume von ruhmreichen Schlachten. Priester mit grauen Umhängen und karierten Beinkleidern – krautiges Wasser trinkend und jahraus jahrein in heiligen Hainen zu den Göttern betend. Jahre des Studiums der Pflanzen oder des Windes oder der Himmelsrichtungen.
Waren die tausendmal- die mein Speer Gungnir in Bäume, Äste, Sträucher gefahren war – die tausend Fuß die er durch die Wälder flog – umsonst gewesen ?
Mein Vater – der sicherlich hundertundeinen Römer erschlagen hatte. Das Stoßschwert das auf mich wartete, wenn ich als Krieger im Thing aufgerufen wurde. Alles zunichte. Ein Priester – im Hain um irgendwelche Bäume tanzend ?
„KNIET NIEDER WOLFSSIPPE. – IHR SEIT AUSERWÄHLT UND WERDET JETZT DEN EID LEISTEN“
Ein Raunen ging durch die Krieger Versammlung im dunklen – stinkenden Palas meines Vaters.
Alle knieten nieder.
Der Raum drehte sich langsam um mich – rot verschleierte meinen Blick – ich blieb stehen.
Was zunächst niemand außer meinem Speerbruder Torbrand bemerkte. Er zupfte an meinen Beinwickeln – und zischte irgendetwas. Dann bemerkte mein Vater mich. „Ingrabans Sohn. Was macht dich stehen, wenn alle Krieger der Sippe knien und schwören.“
Alle Köpfe wandten sich mir zu – die die ich im schwachen Schein der Kienspäne sehen konnte – und die deren Blicke ich nur fühlen konnte.
Kalt schoss es mir den Rücken hinunter.
„Ich Randulf, Ingrabans Sohn, Freier im Stamme der Wolfssippe.“ Wie später im Kampf – wurde mir der Kopf klar und ich begann blitzschnell zu denken. Auch meine Stimme war tragend – ein seltenes Erbe meines Vaters.
„Ich will wissen wem oder was ich schwöre und ob es ehrenvoll ist dafür zu sterben, wenn es verlangt wird.“
Stille breitete sich aus.
Niemand antwortete, dann erhob sich der fremde Häuptling und sprach mit seinem schweren Zungenschlag.
„Wohl den Stamme der Brukterer, die Krieger hervorbringt die wählen wollen. Sei versichert, dein Tod wird ehrenvoll sein, wenn du das Leben hingibst für die Seherin aller Stämme. Wenn du mein Wort in Zweifel stellst – so können wir das klären – beim Meth oder beim Schwertkampf vor dem Palas.“
Ich sah förmlich wie das Gesicht meines Vaters rot anlief, als er ebenfalls aufstand.
Da durchschnitt eine helle Stimme das dunkle Palas wie ein Sonnenstrahl das dunkle der Nacht.
Und so sprach zum ersten Mal die Seherin der Stämme zu mir.
„Siehst du – sie laufen einfach weiter.“ Lindrad konnte so leise sprechen wie ein Hauch. Wir kauerten – mit Kohle von Kopf bis Fuß geschwärzt – hinter einem umgestürzten Baum. Im Pfad direkt neben uns gingen etliche Liten zu ihrer Arbeit auf den Feldern. Niemand bemerkte uns – obwohl einige von ihnen durchaus Erfahrung in Wald und Kampf hatten.
Lindrad war ein Chatte – einen Kopf größer als die meisten von ihnen und fast so groß wie ich. Das lange blonde Haar hatte er mit Kohle schwarz gefärbt – ebenso wie den nackten Oberkörper und selbst den Framen in seiner Rechten.
Die Liten liefen vorbei und verschwanden im Wald. Wir folgten ihnen quer zum Pfad und hielten immer Kontakt zu ihnen. Es war schwierig ohne Geräusche durchs Unterholz voranzukommen. Auf dem Pfad gingen sie weitaus schneller und waren uns bald voraus.
Plötzlich packte Lindrad meinen Arm und zog mich herunter.
Im Halbdunkel stand ein Mann und schlug sein Wasser gegen einen Baum ab.
„Erwischt – verdammte Liten – sollen ihre Pisse zum Gerber tragen und nicht den Wald hier düngen.“ Lindrads Stimme war wie ein Hauch – kaum zu verstehen selbst von mir, der ich neben ihm kauerte.
„Schnapp ihn dir, Krieger.“ Er blieb zurück und ich
arbeitete mich vor.
Lindrad war mein Kriegervater. Er war fast doppelt so alt wie ich und trug
statt des eisernen Daumenrings vier Goldringe auf dem linken Oberarm und acht
auf dem rechten Oberarm.
Seine Hütte war geschmückt mit Waffen und schweren Goldgehängen.
Lindrad war weiter herum gekommen als alle Leute die
ich vor ihm kannte. Er war in mehr Stämmen links- und rechtsseitig des Rhenus
und der Lupa im Wettbewerb gegen andere angetreten, als er noch zählen konnte.
Sein Ruf ging bis zu den Römern, die ihm viel Gold gaben um gegen gefangene
Kelten anzutreten – auf Leben und Tod. Er kam reich zurück und brachte seinem
Stamm auch Reichtum. Mehrfach wollten sie ihn als Stammesführer auf den Schild
heben, aber er lehnte jedes Mal ab. So verblich sein Ruhm mit den Jahren, nicht
aber seine Kampfkunst.
Er war ein guter Lehrer – mal ließ er mich mit nur einem Schild gegen ein Speer
antreten, mal Kurzschwert gegen Langschwert, mal Fäuste und Tritte gegen einen
mit Schild und Keule oder mit dem römischen Kurzschwert gegen einen Sahs.
Als Waffe hatte ich von meinem Stamm nur
den Sahs – den mir mein Vater mitgab, als er mich zu Lindrad gab um das Kriegshandwerk zu lernen.
Lindrad war nicht der Führer, aber der unbestrittene Schwertmeister dieses
Stammes und ich hatte die Ehre, sein Schüler zu sein.
Viele beneideten mich. Einer von denen war Walram – der Zögling eines Schamanen und einer Lite. Die Chatten hatten viele Liten , viel mehr als wir – unfreie Chatten, die den vollen Kriegsdienst nicht leisten konnten oder ihre eigene Sippe verloren hatten. Sie waren dem Stamm verschworen und dienten dem Stamm. Die meisten hatten ihre Freiheit im Spiel verloren.
Walram war schlank und sein Gesicht nicht von Narben entstellt. Er hatte pechschwarze Haare, die er kämmte und einölte. Sein Vater war der 2. Mann im Stamm und der mit dem meisten Vieh. Walram war stets fein gekleidet und hatte einen Sklaven, der sich nur um Haar und Körperpflege des jungen Kriegers zu kümmern hatte. Viele der jungen Maiden der Chatten versuchten seine Aufmerksamkeit zu erringen. An manchen Abenden bildeten sie regelrecht kleine Ansammlungen von kichernden, schön-äugigen Bewunderinnen, die jede seiner Bewegungen verfolgte und versuchten, ihm Wünsche von den Augen abzulesen. Die andere Seite des Walram war der Kampf. Er kämpfte verbissen mit allem was einen Krieger ausmachte : mit der schnellen Hand der Frame, dem Dolchkampf und mit noch etwas anderem, was man ihm besser nicht gezeigt hätte. Ich sollte noch herausfinden, was das war.
Der Lite vor uns war ein Chatte und die Wölbung
zwischen den Schultern wies auf einen Buckel hin.
Jetzt schlich ich mich an ihn an. Der dampfende Strahl seines Urins ließ schon
nach, bald wird er sich abwenden und den anderen nachlaufen.
Es war knapp, doch ich war rechtzeitig hinter ihm und hielt ihm die stumpfe Seite des Sahs an die Gurgel und drehte ihm den rechten Arm nach hinten. „ Deine Pisse gehörte dem Stamm mein Freund, nicht diesem Baum.“ Flüsterte ich ihm ins Ohr. Der Mann gurgelte etwas und erstarrte vollkommen. Ich zerrte ihn zwei , drei Schritte zurück – er hielt sein guten Stück immer noch fest. „Heute Abend wirst du es der Herrin sagen und deine Strafe empfangen.“ Ich ließ ihn frei und gab ihm einen Stoß dass er nach vorne flog. Noch ehe er sich umdrehen konnte, hatte mich schon das Unterholz wieder verschlungen.
Fassungslos stand er auf und suchte seinen Gegner. Wir hielten den Atem an um nicht laut los zu lachen – wie er da stand – mit hervorquellenden Augen. Plötzlich drehte er sich um und rannte mit wehenden Beinfahnen den anderen nach.
Wir erhoben uns. „Das war der letzte Streich mit einem der Sippe. Bald gehen wir los und holen uns ein paar Sugambrer Stiere.“
Sugambrer – Stiere – das bedeutete die Möglichkeit meinen Eisenring los zu werden. Drei Jahre war ich bei den Chatten – hatte gelernt mit allem zu kämpfen, was es an Waffen gab, Speer, Schwert, Axt, Pfeil und Bogen, Schild und Schlinge.. Ich hatte jeden Jungkrieger der Chatten im Ringkampf besiegt und ein oder zwei Knochen von Vorwitzigen gebrochen. „Ich muss zurück und den Disen ein Opfer bringen und auch Vidar, dem Schutzgott meiner Sippe.“
„Ich werde dir ein Schild leihen – sei dem würdig – sonst lass ich dich die nächsten drei Sonnenwend Feiern mit einem Federbusch statt einem Mannes-Schild antreten.“
Ich traute meinem Mentor das zu. Einmal hatte ich den Speer meines Trainingspartners Arialds zerbrochen – nicht mit Absicht – endete der Wurf auf einem Stein und die Feuersteinklinge zerbrach in tausend Stücke. Zwei Wochen musste ich bei den Dorfhunden essen bevor ich Ariald auch nur um Verzeihung bitten durfte.
Im Dorf suchte ich eine der Hakedisen der Sippe auf. Sie hieß Kunna und roch nicht so schlimm wie die anderen beiden. Ich brachte ihr einen kleinen Beutel zerstampftes Salz als Gabe.
Sie lebte allein in einer Hütte, die nicht größer als die eines Köhlers war . Ihre Einheitssprache war kaum zu verstehen. „Heilige Frau – morgen ziehe ich aus meinen Eisenring abzulegen. Ich brauche Rat. Sind die Götter mir gewogen? Ich bringe ich Salz für eure Speise.“
„Der Gefallen findet am Wege des einäugigen Gottes wird nicht fehlen. Zeig mir dein Gesicht.“ und sie hob einen brennenden Ast vom Feuer hoch, so dass der Schein auf mein Gesicht fiel.
„Kunnas Leib wird eher schwanger werden mit einer Kuh, als das du eine armselige Seherin brauchst. Du gehörst der Königin der Seherinnen!“ Sie warf mir meinen kleinen Beutel mit Salz an den Kopf. „Poff“ verdattert fing ich ihn auf, bevor er auf den Boden fiel. „ „Jetzt hinfort kleiner Krieger.“
War das gut oder schlecht? Ich kannte nun das Omen noch immer nicht und dachte über meine kleine Seherin nach. Immerhin konnte es sicherlich nichts schaden unserem Stammesgott ein Opfer zu bringen und ich ging zurück zu dem Feuer, bei dem sich die Jungkrieger sammelten.
Alles in Allem waren die Zeichen doch wohl gut. Und so brachen wir auf – 70 Chatten und ein kampfeshungriger Brukterer.
Wir liefen drei Nächte und versteckten uns über Tag. Keiner hatte ein Pferd, denn wir wollten abseits der Waldwege gehen, dort, wo die Schatten tief waren und das Unterholz dicht.
Bei Nacht Nummer vier waren wir mitten im bebautem Gebiet – Gerstenfelder – Brachfelder , Stangenerbsen – und ein Kräutergarten – gleich neben einem Heckenzaun, der den Ort umschloss.
Volkrad war unser Anführer und wir legten uns in den Waldrand um auf den Sonnenuntergang zu warten.
Die Ortschaft war so Groß oder so klein wie unser Daheim – ein halbes Dutzend Langhäuser mit
vielen Anbauten, zwei Dutzend Hütten, Pferchen und Koppeln innerhalb der
schützenden Hecke. Zwei Gestalten standen am Eingang. Sie trugen lange Spieße
und sahen als Lagerwachen recht mickrig aus. Rechts und links von ihnen waren
Stachelbüsche gelagert, die man wohl mit einem Seil in die Öffnung der Hecken
ziehen konnte. Ofenfeuer waren ringsherum an und es roch nach Fladenbrot und
gebratenem Fleisch. Links vom Tor befand sich eine Koppel mit massigen dunklen
Gestalten. Den viel gerühmten Zuchtstieren der Sugabmbrer. Volkrad schickte
zwei von uns rund um die Anlage und zehn sollten unseren Rückzug decken. Es war
Vollmond – und ganz hell- wenn die treibenden Wolken es zuließen.
Endlich den Eisenring am Daumen loswerden – mein Sahs dürstete nach Blut wie ich auch. Böse konnte es ausgehen, wenn es den Wachen gelang, die Tordurchfahrt zu sperren. Volkrad winkte Walrum und mich nach vorne. . „Ihr schaltet die Wachen aus. Bei Lodhur – ihr werdet es nicht vermasseln. Ist das Tor gesichert, schreit wie der Waldkauz. Dann holen wir die Stiere und ziehen uns zurück.“ Walram war der andere Jungkrieger – nicht gerade der Mann, den ich im Kampf an meiner Seite haben wollte. Trotzdem – wir hieben die Unterarme gegeneinander – Glück wünschen hieß das für die Jungkrieger, Ich nahm meinen Sahs, Walram einen schweren Speer mit scharfem Blatt und unsere Schilde. Das war nun also mein erster Kampf. Bis dahin hatte ich noch keinen Menschen getötet, die Klinge nicht im Ernst mit jemandem gekreuzt. Ich lernte, dass alle die mentalen Vorbereitungen, die Gedanken, die Geschichten am Lagerfeuer, das Protzen der Jungen und das Schweigen der Alten nichts mehr wert waren. Wer waren die beiden da am Tor? Ich wusste nur eines: sie werden uns töten, wenn sie können. Wir waren alleine mit ihnen und sie mit uns.
Unsere Gesichter und Oberkörper waren mit Erde gefärbt. So schlichen wir uns durch einen kurzen Graben an das Tor heran. Die Nacht war kühl, aber das bemerkten wir nicht. Eine der Wachen hatte sich hin gekauert und hantierte an irgendetwas. Vielleicht war es spät genug das Tor für die Nacht zu schließen. Die andere Wache schaute ihm zu – auf den Speer gelehnt. Ich zeigte auf mich und den Stehenden, auf Walram und den Knienden. Walram nickte. Wir krabbelten wie Kleinkinder bei den ersten Laufversuchen aus dem Graben und waren über den Wachen, bevor sie reagieren konnten. Mein Sahs krachte mit dem Griff gegen den Kopf des einen, Walram stieß seinen Speer durch den Hals des Knienden. Beide brachen auf der Stelle zusammen.
Alles blieb ruhig – das Leben der kleinen Ortschaft
hatte sich in die Hütten verlagert. Aber bald würde es lebendig werden. Ich
ließ den Käuzchen Ruf erschallen und nahm mein Schild vom Rücken. Oben am
Waldrand wurde es lebendig. Plötzlich zerrte Walram heftig an meinem Arm.
„Randulf – das waren keine Männer – nur schwache Frauen die wir erschlugen!“
„Nimm deinen Schild, falls ihre Männer kommen, wir müssen das Tor offenhalten!“
wir machten Front gegen die Boart und warteten, ob jemand uns gehört hatte.
„Ich habe meinen nicht getötet, nur betäubt“ sagte ich ihm. Ohne die Siedlung
aus den Augen zu lassen, ließ ich mich auf die Knie nieder und tastete nach der
Wache. Ein umgeschlagenes Kleid, eine Fidel zum befestigen – 2 Brüste wo keine
sein sollten für eine Männerarbeit. Ich dankte Vidar, dass ich sie nicht
erschlagen hatte. In dieser – der guten Zeit – war es unwürdig für einen
Krieger ein Weib oder ein Kind zu erschlagen. Kein Ruhm war dabei zu holen – im
Gegenteil. Mancher wurde verstoßen aus dem Stamm, mindestens aber mit Hohn und
Spott überzogen.
„Was für einen erbärmlichen Stamm überfielen wir wohl?“ Dann waren die Chatten bei uns und drängten
sich durch das Tor in Richtung der Stallungen. „Volkrad – die Wachen waren
Frauen!“ rief ich halblaut – die Chatten machten inzwischen genug Lärm um Tote
aufzuwecken.
Dann fing das Muhen und Gezeter der Stiere an – rasch wurde ausgesondert – Kühe hatte wir selber genug – aber die Stiere ließen sich weitaus schwerer lenken. Manche hatte Ringe durch die Nase – aber nicht alle.
Ein Schrei erscholl in der Nacht, dann noch einer. Leute kamen aus den Hütten, die wenigsten bewaffnet. Ein Pfeil flog an mir vorbei irgendwo ins Dunkel. Die Leute des Boarts flohen vor uns in den Süden – da musste es wohl noch ein Tor geben. Die Chatten machten nun einen Höllenlärm, schlugen auf die Schilde, miauten und bellten wie eine Horde Lagertiere. Dann wurden die ersten Tiere aus dem Tor getrieben. Es folgten mehr und mehr – Walram und ich hielten nach wie vor den Posten dort. Ich räumte „meine“ Wache aus dem Weg der Tiere. Sie stöhnte nur . Keckernd rief ein Chatten Horn zum Rückzug. Ich hatte nicht mitgezählt aber es waren wohl an die 10 Stiere, die wir in dieser Nacht erbeuteten.
Wir rückten ab. 4 erfahrene Krieger wurden nach vorne geschickt, dann das Gros der Chatten, mit den Stieren und wir Jungkrieger bildeten die Nachhut.
Wir hatten Mühe dran zu bleiben. Die Chatten liefen schnell und ausdauernd wie ein Wolfsrudel. Tatsächlich wurde der Abstand zur Hauptgruppe nach und nach größer – bis wir sie kaum noch hören konnten. Keuchend rannten wir durch die Nacht.
Wir waren so laut dass wir den Hufschlag in unserem Rücken lange nicht hörten – bis er ein Donnern wurde und fast zwischen uns war.
Ein fremder Schlachtruf klang – wir 5 Jungkrieger blieben stolpernd stehen und verkeilten unsere Schilde zu einem kleinen Schildwall – „Ortrung – lauf und warne die anderen!“ Ortrung hörte auf mich und verließ unseren winzigen Schildwall und lief los, weit schneller als jeder von uns anderen. So waren wir noch 4 als die Sugambrer über uns kamen. Es war dunkel hier – Wolken hatten den Mond versteckt und sie konnten nicht sehen mit wie vielen sie es zu tun hatten – unsere einzige winzige Chance. Wir trommelten auf unsere Schilde und stießen Chattische und Brukterische Kampfrufe aus. Vor uns entwickelte sich ein Chaos – das wir nur erahnen konnten. Pferde wurde überstürzt angehalten – andere von dahinter krachten hinein –andere versuchten seitwärts auszubrechen.
„Los die Speere!“ wieder hörten sie auf mich und wir ließen unsere Wurfspeere in das Durcheinander vor uns fliegen. „WOTAN!“ doch statt anzugreifen nahm ich den rechts von mir am Kragen und zog ihn zurück – „50 Schritte zurück!“ flüsterte ich. Und wir zogen uns schnell zurück. „Was machen wir – nochmals kommen wir damit nicht durch!“ keuchte jemand zu meiner Rechten als wir anhielten und unseren kleinen Schildwall wieder bildeten. „Wir lassen sie durch und greifen ihre Nachhut an!“ Der Gedanke kam mir blitzartig. Keine Zeit für irgendwelche Angstgefühle – denn schon hörten wir näher kommende Hufgeräusche. „Los!“
Wir 4 sprangen ins Unterholz. Ich schickte eine dringende Bitte an Wotan den Mond weiter verdunkelt zu halten und dass Ortrung die Haupttruppe erreichen möge- mit dem kleinen Vorsprung, den wir ihm verschafft hatten.
Jetzt kamen 2-3 Reiter über den Pfad – nicht im vollen Galopp, sondern langsam und den Weg prüfend. Wotan war uns gnädig – sie sahen uns nicht – dann kam eine wilde Masse dunkler Gestalten auf Pferden – ab und zu blitzte ein Helm oder ein Schwert auf und es wurde weniger Reiter „50 Reiter-vielleicht weniger!“ flüsterte der unglückselige Walram. Das weckte mich schier auf – das Getrappel wurde schwächer, die Hauptgruppe der Sugambrer war passiert – dann kam ihre Nachhut – ich weiß bis heute nicht wie viele es waren – Walram meinte später es waren 5 – Iwotor meinte 10 . Mein Blut rauschte und pumpte Adrenalin durch meine Adern ich riss mein Sahs hervor und mit einem Satz und dem Kampfschrei der Jung-Brukterer auf den Lippen einem Reiter vor mir in die Seite. Mein Sahs war scharf wie ein Rasiermesser. Ich unterlief sein Schild trennte irgendwo etwas an Fleisch und Knochen durch. Der Fremde schrie auf – dann brachen die anderen Jungkrieger aus dem Gebüsch und ging mit ihren Waffen auf die Reiter los. Es war der reinste Hexenkessel auf kleinstem Raum. Die Pferde waren in Panik von unserem Gebrüll – es war kaum etwas zu sehen – nur zu erahnen. Die Fremden hatten genug damit zu tun ihre Reittiere zu bändigen und oben zu bleiben – bis auf einen der schlau genug war, auf den Boden sprang und mit einem kurzen Speer auf mich losging.
Ich blockte den Stoß ab und schlug den Sahs krachend in die obere Kante seines Schildes- dass er noch gerade rechtzeitig nach oben hob. Ein festsitzender Sahs im Rand des Schildes ging mir durch den Kopf – aber er kam gleich wieder frei – gerade rechtzeitig um den Speer herunter und in der Mitte entzwei zu schlagen. Der Moment in der der der Fremde mit offenem – brüllendem Mund vor mir stand – den Speerstumpf in Händen werde ich wohl nicht vergessen. Meine Sahs ging geradewegs waagerecht durch sein Gesicht und schüttete einen Schwall von Blut, Knochen und Zähnen zur Erde. Seine Augen brachen noch bevor er zu Boden sank. Ein Pferd rammte mich mit der Seite und ich taumelte vorwärts – knapp an einem weiteren Speer vorbei. Etwas – was ich gar nicht hatte kommen sehen, krachte gegen meinen Schild , der im gleichen Moment viel schwerer wurde. Ich sah den blanken Oberschenkel eines Reiters und stach den Sahs hinein. Ein Schwall Blut spritzte mir ins Gesicht und raubte mir kurz die Sicht. Ich sah etwas auf mich zu kommen und hob im letzten Moment den Schild. Eine Keule knallte gegen meinen Schild und rutschte seitlich ab. Ich stieß mit dem Sahs in die Richtung – aber ins Leere. Dann wurde es etwas heller. Die Wolken verzogen sich für einen Moment und ich konnte mich umschauen. Ein Reiter entdeckte mich und trieb sein Pferd an mich nieder zu reiten. Die Entfernung war zu kurz – das Pferd zu langsam und ich tauchte unter seinem Bauch auf die andere Seite. Mein Sahs durchschlug wieder Fleisch und Knochen. Der Reiter warf die Arme in die Luft und stürzte schreiend vom Pferd.
Dann war es vorbei. Die Reiter der Nachhut waren verschwunden. Einer der Chatten saß im Mondlicht mitten auf dem Weg und hielt sich den Bauch. Er saß in einer dunklen Pfütze, die rasch größer wurde. Wir anderen blickten uns wild um. Einer der Sugambrer – wohl der den ich zuletzt erwischte rollte sich schreiend auf dem Boden – auch er eine im Mondlicht dunkle Pfütze hinterlassend. Wir sanken schnaufend auf den Boden des Pfades. Es stank nach Metall , Blut und anderem. Einer nach dem anderen wurde uns schlecht und wir erbrachen uns . Als sich mein Magen beruhigt hatte stand ich wankend auf. Ich suchte den , den ich im Zweikampf besiegt hatte und fand ihn am Wegesrand. Sein Gesicht war schrecklich zugerichtet und keine Züge mehr erkennbar. Er trug einen eisernen Ring am Daumen und hatte einen kleinen getrockneten Bund von weißen Blumen in sein Haar geflochten. Ein Jungkrieger wie ich selber – mit dem Herzensgruß einer Liebsten.
Er hatte einen schönen, scharf geschliffenen Dolch mit Knochengriff, den er nicht mehr zum Einsatz bringen konnte und ich nahm ihm diesen Dolch, den ich bis heute noch trage und fast täglich zum Schneiden von Fleisch benutzte.
Auch die anderen Jungkrieger hoben Kriegsbeute auf. 3 Pferde waren stehen geblieben . Wir luden den toten Jungkrieger auf eines davon und teilten uns je zu zweit die anderen beiden Pferde. Dann ritten wir den Sugambrern und unseren Leuten nach.
Diese Nacht wollte nicht zu Ende gehen. Wir hörten wütendes Geschrei vor uns und das Geschepper von Speeren, die auf Schilde trugen. Chattischer Kriegsgesang und fremde Flüche.
Ich hielt meine kleine Schar zurück. Zaghaft standen wir verloren mitten auf dem Pfad und hörten zum ersten Mal das Ritual von 2 Heeren, die aufeinander trafen. Der Mond verlor seine Kraft und die dunkelste Stunde der Nacht brach an – bevor die Sonne ihren Anteil des Tages beanspruchen würde.
Immer noch brachen Schreie und Flüche durch die Dunkelheit vor uns, doch es wurde nach und nach stiller.
Nichts von einer Schlacht war zu hören.
Unsere Pferde begannen Blätter vom Wegesrand ab zu rupfen. Wir blickten uns nicht an, schienen für Stunden das Atmen vergessen zu haben.
Dann gab es vor uns Bewegung, wieder Scheppern und Flüche. Wie ein einziges großes Tier kam das Heer der Sugambrer auf uns zu.
Sie zogen sich zurück.
Und auf uns zu.
„Weg !“ es war so stockfinster, dass man den Pfad kaum sehen konnte. Doch die Pferde konnten es scheinbar. Wir ritten im Schritt – eine schnellere Gangart hätte den Abwurf in einem tiefhängenden Zweig bedeutet. Wir kamen zurück zu der Stelle unserer Schlacht und ich ließ sie halten.
„Lasst die Pferde hier, wir gehen ins Unterholz und verstecken uns. „
Ein herber Verlust, Pferde waren kostbar, aber ich sah keinen anderen Weg. Es war jetzt die erste Ahnung einer Morgendämmerung in der Luft und wir sahen fast unsere bleichen Gesichter. Den kleinen, toten Chatten auf den Schultern gingen wir querab zum Pfad bergan. Oben kreuzten wir den Hügel des Kamms und legten uns hin.
Gezurr, Gezerr und Gestampfe vom Pfad herauf zeigte mir, dass wir das Richtige getan hatten. Dann ein schreckliches Geheul vom Ort unserer Schlacht mit der Nachhut.
Fremde Stimme ächzten , stöhnten und heulten, dann ging die dunkle Meute weiter, nahm den fremden Jungkrieger mit zurück zu seiner Liebsten. Wie leicht hätte ich da liegen können – meiner eigenen, ganz seltsamen Liebsten zur Erinnerung, die mich sicherlich beim Festmahl bei Wotans Tafel angeschrien und geschlagen hätte.
50nC Lupa (Lippe) Randulf
Ihre Stimme war glockenhell und der ganze Palas schien den Atem anzuhalten. Das Gemurmel und Gemurre erstarb, kein Riemen ächzte, kein Geschirr schabte über Zähne.
„Randulf , Ingrabans Sohn. Die Waffenbrüder und das Volk des weisen Gottes , bei Donar und Freya . Du wirst mir sein wir Askr und ich werde sein wie Embla. Kein Weg wird uns trennen können und meine Stimme wird deine sein. So ist es gesagt worden im Hain.“
Meine Beine fühlten sich wie Grütze an und ich schwankte wohl ein wenig – das waren mystische Worte – Askr der erste Mann – geschnitzt aus einer Esche von Wotan. So fühlte ich mich nicht. Ich fühlte mich eher so, als sollte ich möglichst rasch und möglichst weit weg laufen, doch meine Beine spielten da nicht mit. Eine Hand legte sich auf meine schmutzige, zerkratzte Brust. Eine kleine Hand – ganz leicht wie ein Vogel und doch donnerte diese kleine Hand durch meine Seele und ich konnte mich wieder bewegen. Ich brauchte nur den Kopf zu senken – da stand sie vor mir. Ihre Kapuze war nach hinten geschlagen und ein sehr helles Gesicht mit noch helleren, gescheitelten Haaren blickte zu mir herauf. Ihre Augen waren wie dunkle Seen. „Du brauchst nicht zu knien .“ flüsterte sie mir zu – ihr Flüstern war laut genug, dass es wohl noch bis zum nächsten Haus schallte. „Hilf mir nur .“
Und Vidar helfe mir, ich nahm vorsichtig ihre winzige Hand und beugte mich herab und vergrub mein Gesicht in ihre Hand , roch an ihr, wie man an einem glücklich erlegten Wildbret roch. Und es roch gut.
Dann wurde sie wieder weggeführt. Ich blieb stehen – wie von Donar berührt – und sprach mit den anderen meiner Sippe den Eid – der sie uns verpflichtete und sie sprach den Eid, der sie unserer Sippe – aber auch unserem Stamm verpflichtete. Damals schwirrte mir nur der Kopf – aber später wurde mir klar, dass dieses kleine Mädchen – kaum 8 Jahre alt, der Fokus der Freien Stämme auf dieser Seite des großen Flusses war. Etwas war mir aber sofort klar -–dieses kleine Mädchen wollte ich beschützen, mit meinem Leben, wenn es so sein sollte.
Ihr Gesicht wurde verhüllt und die Knechte und Mägde wurden herein gerufen – Essen wurde gebracht und frischer, süßer Meth.
Die anderen Jungkrieger waren normale Jungkrieger geblieben an diesem Abend, nicht so aber ich. Sie waren nun abgerückt von mir und schauten mich scheu an. Keine Witze wurden gemacht über diese winzige und viel zu junge Braut, stattdessen fingen sie an mich zu bedienen – hier ein Fleischstück in den Mund geschoben, dort Fladenbrot, einen Becher Sauermilch gereicht, einen Humpen Meth.
Ich weiß nicht wie ich diese Nacht überstanden hätte – entweder stillschweigend auf die Bretter gehend – oder abgehoben auf einer Wolke, wenn mir nicht zwei Leute geholfen hätten.
Der eine war mein Vater und es war schon stockdunkel im Dorf, als er meinte seine Gäste verlassen zu können. Er hockte sich neben mich auf eine der schmalen Bänke an der Längswand des Palas und sagte lange Zeit nichts.
Irgendwann drückte er mir einen weiteren Becher Meth in die Hand – etwas was er noch nie getan hatte.
„Junge, wir müssen uns jetzt langsam um deine Ausbildung kümmern. Als Champion der höchsten Seherin musst du noch so ein-zwei Kniffe lernen. Du gehst in eine Schwertlehre. Ich habe den besten Lehrer weit und breit für dich.“
Schwertlehrer – das hieße für einige Jahre weg von der Sippe und bei einem Meister den Krieg zu lernen.
Falls ich wirklich von der kleinen Seherin ausgewählt war – musste ich mich wahrscheinlich viel schlagen. Das war .. gut. Es passte in mein Schema, wie ich mir meine Zukunft vorstellte – zugegeben – durch einen rosaroten Schleier, der mögliche Niederlagen nicht durchließ.
„Das.. wäre sehr gut !“ sagte ich langsam.
„Gleich morgen suchst du dir ein Pferd aus und 2 Pferdeknechte. Um den Rest kümmere ich mich.“
Sagte mein wortkarger Vater, drückte schwer meine Schulter als er aufstand und wieder ans Feuer zu den Gästen trat.
Der andere an diesem Abend holte mich zurück auf den Boden des Tages. Das war Thorbrandt, mein Speerbruder seit ich einen Stock halten konnte. Er nahm den Platz meines Vaters ein und nahm mir gleich den Meth Becher weg. „Du hast genug, alter Klotz – ich weiß nicht wer die kleine Braut ist, aber sie hat recht – bist ein alter Holzklotz. Es scheint du hast eine neue Favoritin, … „ er nahm meinen Ringdaumen in die Faust und schüttelte ihn.
„Was machst du mit deiner alten Favoritin, ist die süße Orthilde – die dir immer den besten Meht, das beste Fleisch besorgt – ist die dann frei ?“ Er ließ meinen Daumen fahren und die rosarote Blase in der ich saß zerplatzte. Die süße Orthilde – steht immer irgendwo vor der Hütte, wenn wir heim kommen, immer ein keckes Wort und schräge Seitenblicke unter langen Wimpern. Das war ein Problem – Orthilde hatte begonnen eine wenn auch kleine Rolle zu spielen in meinen Tagträumen, die meine Zukunft betrafen. „Pah, Ortili ist nicht gebunden – außerdem gehe ich weg. Mein Vater schickt mich zu einem Schwertmeister.“
„Vadar weiß – wie man aus einem Holzklotz einen Krieger machen soll. Das muss ein schlimmer Bursche sein und ziemlich verzweifelt, wenn er glaubt dass er dir was beibringen kann..“
„Ho he, wir sollten wohl ausprobieren, wer wann wen beim Ringen ganz blass aussehen lässt – weil er keine Luft mehr unter meinem rechten Arm bekommt..“ „Vielleicht wechseln wir nur ein paar Wurfsteine – kleiner Schwertbruder, ich wecke dich dann wenn es der Hahn nicht schafft.“
Thorbrandt war allerdings ein guter Werfer. Und die faustgroßen Steine hatten schon manchen schlafen geschickt beim Wettkampf. So sprachen wir – und ich landete wieder – wenn auch unsanft in der Mitte meiner Sippe. Bald scharten sich die anderen Jungkrieger um mich und irgendwann, als der Morgen sich schon ankündigte, warf uns mein Vater raus aus dem Palas.